
Tageslicht ist gut für Gesundheit und Leistungsfähigkeit, Hitze dagegen nicht. Was bedeutet das für die Planung von Fensterflächen in Wohngebäuden?
Gesunde Balance von Licht und Wärme
Je nach Quelle verbringen die Deutschen durchschnittlich 80 bis 90 Prozent ihrer Zeit in geschlossenen Räumen – mit steigendem Homeoffice-Anteil. Deshalb ist es wichtiger denn je, bei der Wohngebäudeplanung auf die Aufenthaltsqualität zu achten. Wie sie sich sicherstellen lässt? Gar nicht so einfach: Neben der Lage, dem Ausblick, der architektonischen Gestaltung und der Inneneinrichtung zahlen vor allem Licht, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftqualität und Außenfaktoren wie der Lärmpegel auf den Wohnkomfort ein. Fenster sind ein wesentliches Steuerinstrument für viele dieser Faktoren. Sie sperren Lärm aus, regulieren beim Lüften Luftfeuchtigkeit und -qualität, halten Hitze oder Kälte draußen und lassen Licht ein.
Sonnenlicht
Wie unersetzlich natürliches Tageslicht für den menschlichen Organismus ist, ist längst erwiesen: Tagsüber sorgt es für die Ausschüttung von Cortisol und Endorphinen, die den Organismus aktivieren, Kreislauf und Verdauung ankurbeln und die Konzentrationsfähigkeit schärfen. Die abendliche Dunkelheit versetzt den Körper in den Ruhemodus und stellt damit sicher, dass er zum nächsten Sonnenaufgang wieder startklar ist. Keine „Tageslichtlampe“ kann die Lichtstärke, die wechselnden Lichttemperaturen und die komplexe Komposition der Strahlungsfrequenzen echten Tageslichts ersetzen. Wir halten fest: Solange Bewohner nicht geblendet werden, ist Sonnenlicht gut und wichtig fürs Wohlbefinden – je mehr, desto besser.
Temperatur
Für die Raumtemperatur gilt das nicht. Jeder Mensch fühlt sich nur innerhalb eines individuellen Bereichs auf dem Zimmerthermometer gut und leistungsfähig. Neben der Lufttemperatur hängt dieses „thermische Behaglichkeitsfeld“ von Raumumschließungsflächen-Temperatur, Luftbewegung, Luftfeuchte und Bekleidung ab. Das lässt sich nur mit multivariaten Berechnungsmodellen seriös erfassen, zu denen beispielsweise DIN EN ISO 7730:2003 und DIN 1946-2:1994-01 Ansatzpunkte bieten. Ziemlich komplex für die frühe Entwurfsphase! Handfestere Hilfestellung leistet die Arbeitsstättenregelung ASR A3.5, die sich angesichts zunehmender Heimarbeit auch im Wohnbau als Planungstool anbietet. Sie konzentriert sich auf das Wechselspiel von Luftfeuchtigkeit, Lufttemperatur und Wärmestrahlung des Wohnumfelds und definiert 20 °C bei einer Luftfeuchte von 30 bis 50 Prozent als ideal fürs Wohlbefinden – erst recht, wenn es im gesamten Wohnbereich keine nennenswerten Unterschiede zwischen den Temperaturen der Raumluft und der raumumschließenden Flächen gibt. Nach Aussagen von Ralf Vornholt, Anwendungstechnik-Experte bei SAINT-GOBAIN GLASS Deutschland und Vorstandsvorsitzender der RAL Gütegemeinschaft Flachglas e.V., nimmt die Leistungsfähigkeit bei einer gefühlten Temperatur über 26 °C durchschnittlich um 20 Prozent ab, sinkt bei mehr als 30 °C unter 50 Prozent und bringt den menschlichen Organismus ab 35 °C an seine Toleranzgrenze – Herz- und Kreislaufprobleme drohen. Wir halten fest: Im Winter ist Sonnenwärme willkommen, um die Heizung zu entlasten; im Sommer muss der Wärmeeintrag dagegen begrenzt werden, wenn sich Bewohnerinnen und Bewohner wohlfühlen sollen.
Planung
Wie lassen sich architektonische Ästhetik, thermischer Komfort und die gesundheitlichen Vorteile von Tageslicht bei der Planung von Fensterflächen in eine sinnvolle Balance bringen? Gibt es überhaupt eine Lösung, die Wohngebäude ganzjährig mit Sonnenlicht flutet, den Heimarbeitenden Blendschutz bietet, im Winter genügend Sonnenwärme einlässt, im Sommer wiederum nicht zu viel? Ja, sagt Ralf Vornholt – wenn bei der Planung von Anfang an alle Parameter und alle Jahreszeiten berücksichtigt werden, statt den Fokus ausschließlich auf die Wärmedämmung zu legen: „Die im Gebäudeenergiegesetz definierten sommerwarmen Zonen werden sich bis 2045 fast auf ganz Deutschland ausdehnen und die Zahl der Heiztage dadurch immer mehr reduzieren. Schon heute übertreffen die Kühllasten durch Klimaanlagen die winterlichen Heizlasten um ein Vielfaches – mit massiven Folgen für die Umwelt und fürs Portemonnaie. Nicht zuletzt durch Isolierverglasungen mit Sonnenschutzfunktion und einer sinnvoll austarierten Selektivität lassen sich die Energiekosten drastisch senken und der Bedarf an zusätzlicher Beschattung durch Raffstores zurückfahren.“ Wir halten fest: Sommerlicher Wärmeschutz sollte frühzeitig bei Planung, Bauherrenberatung und Ausschreibungen berücksichtigt werden. Dann klappt es auch mit dem Wohnkomfort.
SELEKTIVITÄT BEACHTEN!
Die Selektivitätskennzahl S bezeichnet bei Isolierverglasungen das Verhältnis von Lichtdurchlässigkeit (LT-Wert) zum Gesamtenergiedurchlassgrad (g-Wert) und beantwortet damit die Frage, wie viel Tageslicht in der Relation zum Wärmeeintrag ins Haus gelangt. Herkömmliche Verglasungen liegen bei etwa 1,4 – mit speziellen Beschichtungen kann eine Selektivität von knapp 2 erreicht werden. Wie niedrig der g-Wert im einzelnen Fall sein soll und wie hoch der Tageslichteintrag damit sein kann, muss mit Blick auf die geplante Gebäudenutzung, die Lage der Immobilie, das energetische Konzept und die Beschattungstechnik entschieden werden.